Ich heiße Herbert. Herbert, der Held dieser Geschichte, die keinem ein Heldentum verspricht. Mein Heldentum ist von der Sorte, die in den dampfenden Holzbänken meiner Stammsauna stattfindet, jeden Sonntag, religiös, als wäre der Dampf mein Weihrauch und die Hitze meine Erlösung.
Arbeitsbefreit, wie ich es nenne – seit mehr Jahren, als mein Stolz zulassen würde zu zählen –, habe ich die Tage der Woche neu benannt. Montag ist der Tag des Ausschlafens, Dienstag der Tag der leisen Hoffnung (denn wer weiß, vielleicht ruft ja jemand an), Mittwoch bis Freitag sind ein verschwommenes Durcheinander aus Fernsehshows, die ich nicht mag, und Büchern, die ich nie zu Ende lese. Der Samstag ist der Tag der Vorbereitung – nicht auf etwas Spektakuläres, oh nein, sondern auf den Sonntag, den Tag der Tage.
An besagtem Tag der Tage stehe ich auf, als wäre ich zu einem ersten Date verabredet. Das altehrwürdige Ritual beginnt mit einem ausgedehnten Frühstück, denn ein Krieger zieht nicht auf leeren Magen in die Schlacht, auch wenn seine einzigen Gegner der Dampf und die eigene Einsamkeit sind. Es folgt die Auswahl des Badetuchs – niemals das grüne, das bringt Unglück, hat mir einmal ein russischer Saunagänger erzählt. Er roch nach Wodka und Weisheit.
In der Sauna angekommen, begrüße ich die anderen Sonntagskrieger. Wir sind eine eklektische Schar aus gescheiterten Existenzen, verlorenen Seelen und solchen, die einfach nur die Wärme suchen. Ich nicke dem übergewichtigen Banker zu, dessen Karriere wohl in der gleichen Sauna verdampft ist wie sein Wohlstand. Ein kurzer, mitleidiger Blickaustausch mit der grauhaarigen Dame, deren Ehering genauso verloren aussieht wie sie.
Dann, endlich, betrete ich den heiligen Ort des Schwitzens. Hier, im nebeligen Dampf, fühle ich mich fast unsichtbar. Fast, denn das regelmäßige Husten des Asthmatikers in der Ecke durchbricht die Illusion von Anonymität. Hier bin ich Herbert, der Held der heißen Lüfte, der König des Aufgusses, der Meister des Nichtstuns.
Während der Aufguss die Luft mit Eukalyptus sättigt und die Atmung schwer macht, schließe ich die Augen und träume. Ich träume von einer Welt, in der Sonntage nicht die Höhepunkte meiner Woche sind, in der ich mehr zu tun habe, als meine Poren zu öffnen. Doch dann erinnere ich mich, dass Träume in dieser Hitze schnell verdampfen, und ich öffne die Augen, nur um den Blick des Bankers zu treffen, der genauso leer ist wie mein Terminkalender.
Und so sitze ich da, schwitze und warte. Warte auf was? Auf eine Erleuchtung, eine Offenbarung, oder einfach nur darauf, dass der Timer der Sauna endlich auf Null springt und ich wieder in die wirkliche Welt zurückkehren kann. Aber ist das da draußen wirklich die wirkliche Welt? Oder ist es diese hier, im Dampf, wo alles so klar und doch so verschwommen ist?
Am Ende des Tages, wenn der letzte Tropfen Schweiß in den Holzritzen der Sauna verschwindet, frage ich mich, ob ich wirklich nur wegen der Wärme hierherkomme. Vielleicht ist es die Gesellschaft, die seltsame, schweigsame Gemeinschaft der Sonntagskrieger, die mich hier hält. Oder vielleicht ist es die Hoffnung, dass unter all dem Dampf und Schweiß, unter all den verlorenen Träumen und gescheiterten Existenzen, irgendwo ein Funken, ein Hauch von etwas Echtem, etwas Wahrhaftigem zu finden ist.
Und so verlasse ich die Sauna, nicht erfrischt, nicht erneuert, aber irgendwie amüsiert über die Absurdität des Ganzen. Bis zum nächsten Sonntag, wenn der Dampf wieder ruft.
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