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Sonntage im Dampf – Teil 3: „Aufguss der Wahrheiten“

Sonntage im Dampf – Teil 3: „Aufguss der Wahrheiten“

Sonntag ist nicht nur der Tag des Herrn, sondern auch der Tag, an dem ich, Herbert, mich in die dampfende Umarmung meiner zweiten Heimat begebe: die Sauna. Hier, wo der Schweiß fließt wie Wein bei einem römischen Festmahl, finde ich, was mir im wahren Leben verwehrt bleibt: eine Art von Zugehörigkeit.

An diesem Sonntag jedoch hatte ich das Gefühl, dass der Aufguss nicht nur Wasser und ätherische Öle, sondern auch eine Prise Wahrheit mit sich bringen würde. Es war etwas in der Luft, schwerer als der Dampf, etwas, das meine Nackenhaare zu einer stehenden Ovation veranlasste.

Schwurbula hatte seine heutige Predigt bereits gehalten, und wir hatten sie ertragen, wie wir die Hitze ertrugen – mit stoischer Ruhe und dem stillen Wunsch, dass beides bald vorübergehen möge. Der Banker, dessen Gesichtszüge immer mehr einem abstrakten Gemälde glichen, saß in seiner gewohnten Ecke, und die Dame mit dem verlorenen Ehering schien noch verlorener als sonst, ihr Blick so leer wie die Seite eines Buches, das niemand zu schreiben wagt.

Dann, wie ein Blitz aus heiterem Himmel, brach es aus dem Banker heraus. „Ich kann es nicht mehr ertragen!“ schrie er, seine Stimme zitternd wie ein Blatt im Herbststurm. „Diese Hitze, diese verfluchte Stille, dieses ständige Schwitzen!“

Alle Augen richteten sich auf ihn, sogar Schwurbula schien für einen Moment sprachlos. Die Dame mit dem Ehering flüsterte ein leises „Oh“, als hätte sie die letzten Worte eines großen Dramas gehört.

„Ich habe alles verloren!“ fuhr der Banker fort, die Worte sprudelten aus ihm heraus wie Wasser aus einem gebrochenen Damm. „Mein Job, mein Geld, meine Frau… sogar mein Hund hat mich verlassen!“

Ein kollektives Seufzen erfüllte den Raum, und ich, Herbert, fühlte plötzlich eine seltsame Verbundenheit mit diesem Mann, dessen Leben in Trümmern lag. Waren wir nicht alle hier, in dieser Sauna, auf der Flucht vor etwas? Vor dem Leben, vor uns selbst, vor der unausweichlichen Wahrheit, dass wir alle nur Wanderer auf dem Pfad der Vergänglichkeit sind?

Dann, als hätte der Banker seine ganze Last abgeworfen, lehnte er sich zurück, schloss die Augen und atmete tief ein. Die Dame mit dem Ehering legte ihre Hand auf seine Schulter, ein stummes Zeichen der Solidarität.

Und Schwurbula, der seltsame Prophet unserer dampfenden Gemeinschaft, stand auf, ging zum Ofen und schüttete eine extra große Ladung Wasser auf die heißen Steine. „Das Leben“, sagte er mit einem Lächeln, „ist wie ein Saunagang. Man muss die Hitze aushalten können, um die Erfrischung danach zu schätzen.“

In diesem Moment verstand ich, dass die Sauna mehr als nur ein Ort zum Schwitzen war. Es war ein Ort der Heilung, ein Ort, an dem man nicht nur seine Poren, sondern auch seine Seele öffnen konnte.

Und so saßen wir da, der Banker, die Dame, Schwurbula und ich, stumm im Dampf, verbunden durch unsere Schwächen, unsere Schmerzen und die seltsame Schönheit unserer gebrochenen Existenzen. Denn manchmal ist es die Hitze, die uns zeigt, was wirklich wichtig ist. Manchmal ist es der Dampf, der uns die Augen öffnet. Und manchmal ist es die Stille, die uns die Wahrheit flüstert.

Inmitten dieser verwundbaren Offenbarungen und der tröstenden Worte Schwurbulas, betrat ein junger Mann die Saunaanlage, dessen Anblick sofort Neugierde weckte. Seine Kleidung war zerknittert, sein Blick wild – er schien aus einem anderen Universum zu stammen. Mit einem zögerlichen Schritt nach dem anderen näherte er sich uns, als suche er Zuflucht oder vielleicht eine Antwort.

„Ich… ich habe mein Taxi mitsamt Fahrgast in der Einöde stehen lassen“, gestand er mit einer Mischung aus Verzweiflung und Unglauben in der Stimme. „Es war eine meiner ersten Fahrten, und dann… dann gab es ein Problem mit dem Wagen.“

Ein Raunen ging durch die Runde, und alle Augen waren auf ihn gerichtet. Der junge Taxifahrer sank bald neben Schwurbula nieder, sichtlich am Ende seiner Kräfte.

Schwurbula, der niemals um humorvolle Worte verlegen war, legte ihm eine Hand auf die Schulter und sagte: „Mein Junge, das Leben ist wie eine Saunaseance. Manchmal wird es so heiß, dass man glaubt, man muss fliehen. Aber dann sitzt man hier, im Dampf, und merkt, dass es immer einen Weg gibt, die Hitze zu ertragen. Und sei es nur, indem man das Handtuch wirft und in der erstbesten Sauna Unterschlupf sucht.“

Ein Lächeln brach sich Bahn auf den Gesichtern der Anwesenden, sogar der junge Taxifahrer musste grinsen. „Vielleicht hätte ich besser zweimal nachdenken sollen, bevor ich das Taxi einfach stehen ließ“, murmelte er.

„Oder vielleicht war es genau das Richtige. Jetzt sitzt du hier, mit uns“, erwiderte Schwurbula. „Und wer weiß, vielleicht erzählst du eines Tages diese Geschichte deinen Fahrgästen – als Beweis, dass manchmal die unerwartetsten Entscheidungen zu den besten Geschichten führen.“

In jener Nacht, als wir alle im Dampf saßen, verbunden durch unsere menschlichen Makel und die seltsamen Wendungen des Schicksals, wurde mir, Herbert, einmal mehr klar, dass die Sauna mehr als ein Ort der Entspannung ist. Sie ist ein Spiegel des Lebens selbst, mit all seinen Höhen und Tiefen, seinen Verzweiflungen und kleinen Freuden. Und so, umgeben von Dampf und Geschichten, fanden wir alle ein Stück Heilung, ein Lächeln im Angesicht der Absurdität des Lebens.

(All rights reserved. Copyright by Michael Schaller)

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