Mo. Nov 25th, 2024
Sonntage im Dampf – Teil 4: „Verdampfte Romanzen“

Sonntage in der Sauna hatten für mich, Herbert, den Charme eines gut gealterten Weins – voller Nuancen und mit einem Nachgeschmack von Melancholie. Doch an diesem Sonntag schien der Wein einen neuen Geschmack zu bekommen, süß und verführerisch, wie die Ankunft einer Unbekannten in unserem dampfenden Refugium.

Sie war eine Erscheinung, eine Vision aus dem Nebel, die mit jedem Schritt, den sie näher kam, realer wurde. Eine Russin, so sagte man, und ich, der still beobachtende Herbert, konnte nicht umhin, mich von ihrer exotischen Aura anziehen zu lassen. Sie trug ein Badetuch, das mehr verhüllte, als es offenbarte, und ihr Lächeln hatte die Wirkung eines gut gezielten Aufgusses – es durchdrang jeden Winkel des Raumes.

Ich war kein Mann der großen Worte, eher ein Philosoph der stillen Betrachtung. Doch irgendwie fand ich den Mut, neben ihr Platz zu nehmen. Vielleicht war es die Hitze, die meinen Mut beflügelte, oder vielleicht war es die Hoffnung, die in mir keimte wie eine Blume im Frühling.

„Das ist mein erster Saunabesuch in diesem Land,“ sagte sie mit einem Akzent, der so melodisch war wie die Musik einer Balalaika. „Ich heiße Nadja.“

Ich stellte mich vor, meine Worte stolpernd und unbeholfen. „Herbert,“ sagte ich. „Willkommen in unserem kleinen Dampfparadies.“

Wir sprachen über Belanglosigkeiten – über das Wetter, das nie so heiß war wie unsere Sauna, über das Leben, das nie so klar war wie der Schweiß, der von unserer Stirn tropfte. Und während wir sprachen, fühlte ich, wie eine unschuldige Flirterei zwischen uns webte, so zart und flüchtig wie der Dampf, der uns umgab.

Als der Aufguss kam, der die Luft mit dem Duft von Eukalyptus erfüllte, wagte ich einen Blick auf Nadja. Ihr Gesicht glühte im Dampf, und für einen Moment glaubte ich, in ihren Augen etwas zu sehen, das so selten war in meiner Welt – eine Möglichkeit, eine Hoffnung, vielleicht sogar eine Verbindung.

Doch wie alle guten Dinge in meinem Leben war auch diese Begegnung vergänglich. Als der nächste Sonntag kam, war Nadja verschwunden, so spurlos wie der Dampf, der sich am Ende eines Saunagangs verflüchtigt. Keine Erklärung, kein Abschied, nur das Echo ihrer Anwesenheit, das in der Luft hing wie ein Versprechen, das nie eingelöst wurde.

Schwurbula, der bemerkte, wie ich meinen Blick suchend durch den Raum schweifen ließ, legte seine Hand auf meine Schulter. „Manche Dinge“, sagte er mit einem Wissen, das so tief schien wie die Wärme der Sauna, „sind wie der Dampf. Sie sind da, um uns für einen Moment zu umhüllen, uns zu berühren, und dann ziehen sie weiter. Das Wichtigste ist, dass wir den Moment genießen, solange er da ist.“

Ich nickte, und obwohl ich die Worte verstand, hinterließ Nadjas Abwesenheit eine Leere in mir, die nicht so einfach mit philosophischen Weisheiten zu füllen war. Doch im Herzen des Dampfes, in der Stille der Sauna, wusste ich, dass Schwurbula recht hatte. Das Leben, wie die Sauna, bestand aus Momenten – manche heiß, manche flüchtig, aber alle kostbar auf ihre eigene Weise.

So saß ich da, still, nachdenklich, und ließ mich vom Dampf umhüllen, bereit, den nächsten Aufguss der Wahrheit zu empfangen, bereit für die nächste unschuldige Flirterei, die das Schicksal mir vielleicht schenken würde. Denn am Ende ist das Leben selbst die größte Sauna – voller Hitze, voller Dampf, und voller Geschichten, die darauf warten, erzählt zu werden.

(All rights reserved. Copyright by Michael Schaller)

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Von Michael

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