So. Dez 22nd, 2024
Sonntage im Dampf – Teil 5: „Dampfende Sehnsucht“

In der Sauna, diesem Dampfbad der Seele, hatte ich, Herbert, schon vieles gesehen. Die Hitze schien die verborgenen Seiten der Menschen zu enthüllen, wie ein Buch, das man nur im Schein einer Kerze richtig lesen kann. Doch selbst in diesem Buch der menschlichen Geschichten war das, was am nächsten Sonntag geschah, ein Kapitel, das ich nie erwartet hätte.

Nach Nadjas mysteriösem Verschwinden war die Sauna für mich ein Ort der Reflexion geworden, ein Spiegel, der mir nicht nur mein verschwitztes Gesicht, sondern auch die Wahrheiten meines Lebens zeigte. Ich hatte mich damit abgefunden, allein zu sein, ein stilles Wassermolekül im Dampf des Lebens.

Doch das Schicksal, dieser unermüdliche Regisseur des Absurden, hatte andere Pläne. An jenem Sonntag betrat eine neue Figur die Bühne unseres Saunatheaters. Ihr Name war Clara, und sie war, wie ein frischer Aufguss, eine plötzliche und belebende Präsenz in der monotonen Hitze meiner Tage.

Clara war das Gegenteil von Nadja – offen, laut, mit einem Lachen, das durch den Dampf schnitt wie ein Messer durch Butter. Sie kam zu mir, ohne zu zögern, setzte sich neben mich und begann zu sprechen, als wären wir alte Bekannte, deren Freundschaft nur durch eine kurze Pause der Abwesenheit unterbrochen worden war.

„Sie sehen aus, als könnten Sie eine Abkühlung vertragen“, sagte sie mit einem Augenzwinkern, das so frech war, dass es fast anstößig war. „Oder vielleicht eine Aufheiterung.“

Ich, der stille Herbert, der Meister des Schweigens, fand mich plötzlich in einem Gespräch wieder, das so lebhaft war wie das Prasseln der heißen Steine, wenn der Aufguss kommt. Wir sprachen über alles und nichts – über Saunatraditionen, über die skurrilen Gewohnheiten unserer Mit-Saunagänger, sogar über die Absurditäten des Lebens, die so bittersüß waren wie der Geschmack des kalten Wassers nach der Hitze.

Und während wir sprachen, fühlte ich, wie eine unschuldige Flirterei zwischen uns entstand, ein zartes Spiel aus Worten und Blicken, das so flüchtig war wie der Dampf, der uns umgab. Für einen Moment erlaubte ich mir zu glauben, dass dieses Mal alles anders sein könnte.

Doch wie ein Aufguss, der zu schnell verdampft, war auch diese Hoffnung nur von kurzer Dauer. Am nächsten Sonntag war Clara verschwunden, so plötzlich und unerklärlich wie Nadja. Keine Nachricht, kein Abschied, nur ein leerer Platz neben mir, der mir mehr sagte als tausend Worte.

Schwurbula, der stets allwissende Beobachter unserer kleinen Gesellschaft, sah mein stummes Fragen und seufzte. „Das Leben in der Sauna“, sagte er, „ist wie das Leben draußen. Menschen kommen, Menschen gehen. Manche bleiben nur für einen Aufguss, andere für eine ganze Session. Doch am Ende ist jeder von uns allein mit der Hitze seiner Gedanken.“

Und so saß ich da, allein, umhüllt von Dampf und Sehnsucht, und fragte mich, ob das Leben wirklich so flüchtig war wie die Figuren in meiner Saunawelt. Doch tief in mir wusste ich, dass trotz aller verschwundenen Flirtereien, trotz aller unerfüllten Hoffnungen, jeder Sonntag, jeder Aufguss, jede Begegnung ein Teil des Dampfbads war, das mein Leben war – unvorhersehbar, manchmal schmerzhaft, aber immer intensiv und lebendig.

Und so wartete ich, der stille Herbert, auf den nächsten Sonntag, auf den nächsten Aufguss, auf die nächste Geschichte, die im Dampf meiner Tage geschrieben werden würde. Denn am Ende ist das, was wir suchen, nicht immer das, was wir finden. Manchmal ist es der Dampf selbst, der uns die Wege unseres Herzens zeigt.

(All rights reserved. Copyright by Michael Schaller)

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Von Michael

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