In der Sauna, diesem Universum aus Holz und Hitze, hatte ich, Herbert, so viele Geschichten erlebt, dass ich selbst zu einer Geschichte wurde – zu einer Anekdote, die man sich erzählt, wenn der Dampf zu dicht wird und die Wahrheit zu nebelhaft.
An jenem Sonntag, als die Hitze noch drückender schien als die Last meiner eigenen Gedanken, betrat eine Gestalt aus meiner Vergangenheit die Schwelle unserer dampfenden Zuflucht. Es war Helga, meine ehemalige Klassenkameradin, die ich seit den Tagen des unschuldigen Schwärmens und der peinlichen Abschlussbälle nicht mehr gesehen hatte.
Helga hatte sich verändert, aber nicht so sehr, dass die Jahre ihre Spuren verwischt hätten. Ihre Haare waren kürzer, ihre Augen müder, aber ihr Lachen hatte immer noch das Echo jener Unbeschwertheit, die wir beide irgendwo auf dem Weg in das Erwachsenendasein verloren hatten.
„Herbert? Bist du das wirklich?“, fragte sie, ihre Stimme eine Mischung aus Überraschung und einem Hauch von Nostalgie. „Ich hätte nie gedacht, dass ich dich hier treffen würde.“
Ich murmelte etwas, das halbwegs als Antwort durchgehen konnte, und fragte mich insgeheim, ob das Schicksal nicht nur ein schlechter Autor war, sondern auch einen besonders schwarzen Humor hatte. Von allen Saunen, in allen Städten, in der ganzen Welt, musste sie ausgerechnet in meine kommen.
Wir sprachen über alte Zeiten, über die Flure unserer Schule, die uns damals wie ein Labyrinth erschienen waren, über Lehrer, die in unserer Erinnerung zu Karikaturen ihrer selbst geworden waren. Und während wir sprachen, fühlte ich, wie die Jahre zwischen uns langsam verdampften, wie der Nebel, der sich lichtet und den Blick auf eine Landschaft freigibt, die man fast vergessen hatte.
Doch so wie der Dampf auch die schärfsten Konturen verschwimmen lässt, so waren auch die Bilder unserer Vergangenheit von einer Unschärfe umgeben, die sowohl tröstlich als auch beunruhigend war. Helga, die einstige Königin des Abschlussballs, war jetzt eine Frau mittleren Alters, die in der Sauna saß und über verpasste Chancen und vergangene Träume sprach.
Als der Aufguss kam und der Raum sich mit dem Duft von Minze und Melancholie füllte, sahen wir uns an, Helga und ich, und für einen Moment war es, als würde der Dampf nicht nur unsere Körper, sondern auch unsere Seelen umhüllen.
„Weißt du“, sagte sie leise, ihre Worte fast verschluckt vom Zischen der heißen Steine, „manchmal denke ich, dass das Leben wie eine Sauna ist. Wir kommen rein, schwitzen, kämpfen mit der Hitze, und wenn wir rausgehen, sind wir nicht mehr die gleichen. Etwas hat sich verändert, auch wenn wir es nicht immer sehen können.“
Ich nickte, denn was konnte man darauf schon sagen? In der Sauna, in diesem dampfenden Mikrokosmos des Lebens, waren wir alle gleich – nackt, verwundbar, und auf der Suche nach etwas, das vielleicht nur eine Illusion war, so flüchtig wie der Dampf, der uns umgab.
Und als Helga ging, mit einem leisen „Auf Wiedersehen“, das mehr ein Fragezeichen als ein Punkt war, saß ich da, allein mit meinen Gedanken, allein mit dem Dampf und den Schatten der Vergangenheit, die manchmal so real waren, dass sie selbst in der Hitze der Sauna nicht verdampften.
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