Do. Nov 21st, 2024
Sonntage im Dampf – Teil 8: „Das Geheimnis des kleinen Handtuchs und der Italiener im Nebel“

In der Sauna, diesem Tempel des Dampfes und der Entblößung, hatte ich, Herbert, stets meinen festen Platz, meine Rituale und mein kleines Handtuch. Doch wie ich bald feststellen sollte, war selbst ein unscheinbares Stück Stoff in der Lage, eine Welle der Heiterkeit, des Spotts und des Gerüchts in unserer kleinen Gemeinschaft auszulösen.

Es begann an einem Sonntag, als ich, wie gewohnt, mein treues, wenn auch etwas abgenutztes Handtuch unterbreitete, ein Relikt aus besseren Tagen, das mir als treuer Gefährte in der Welt des Schwitzens diente. Dass ich dieses Handtuch seit Monaten nicht mehr gewaschen hatte – ein kleines Detail, das der Tatsache geschuldet war, dass ich es nie in die gemeinschaftliche Waschküche unseres Mehrparteienhauses im 10. Stock geschafft hatte –, war ein Geheimnis zwischen mir und dem Handtuch.

Doch Geheimnisse, so flüchtig wie Dampf, haben die Angewohnheit, sich ihren Weg zu bahnen, und bald wurde mein kleines Handtuch zum Gegenstand des Gespötts. „Hast du gehört?“, flüsterte der übergewichtige Banker, während er seinen eigenen flauschigen Frottee-Turm ausbreitete. „Herberts Handtuch hat mehr Saunagänge erlebt als wir alle zusammen.“

Die lachenden Blicke, die verstohlenen Flüstereien, sie verfolgten mich in jede Ecke der Sauna, ein Echo meiner eigenen Nachlässigkeit. Ich, Herbert, der stille Beobachter, war plötzlich zum Mittelpunkt einer bizarren Aufmerksamkeit geworden, und das alles wegen eines Handtuchs, das nicht mehr war als ein Tuch, getränkt mit Erinnerungen und, nun ja, vielleicht auch ein bisschen Schweiß.

Schwurbula, der Weise, der sonst so ernste Saunaprophet, konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als er mein Handtuch erblickte. „Ein wahrer Saunagänger misst sich nicht an der Größe seines Handtuchs, sondern an der Tiefe seiner Poren“, sagte er mit einem Augenzwinkern, das mehr aussagte als tausend Worte.

Die Saunagänge, die einst eine Flucht vor dem Alltag waren, wurden nun zu einem Spießrutenlauf der Belustigung und des Mitleids. Mein kleines Handtuch, einst ein unschuldiger Begleiter, war zum Symbol meiner Lebenslage geworden – ein wenig abgenutzt, ein wenig vernachlässigt, aber dennoch ein treuer Gefährte in der Hitze des Lebens.

Und so nahm ich mir zumindest vor, das Handtuch zu waschen, nicht nur, um den Spott zu beenden, sondern auch, um einen Neuanfang zu wagen, einen frischen Start in einer Welt, die manchmal so heiß und unerbittlich war wie die Sauna selbst. Denn manchmal ist es ein kleines Stück Stoff, das uns daran erinnert, dass das Leben, wie eine Sauna, immer bereit ist, uns zu überraschen – mit einem Lächeln, einem Spott, oder einfach nur mit der Erkenntnis, dass es an der Zeit ist, die Dinge zu ändern.

In der Sauna, diesem Dampfschiff durch die Nebelmeere des Alltags, war ich, Herbert, gewohnt an die regelmäßigen Wellen des Lebens. Doch als am nächsten Sonntag ein neuer Passagier an Bord kam, wurde mir klar, dass selbst in der ruhigen See der Gewohnheit Stürme aufziehen können.

Er betrat den Raum mit der Selbstsicherheit eines Mannes, der weiß, dass alle Augen auf ihm ruhen. Ein Italiener, wie er im Buche stand: dunkles Haar, ein Lächeln, das auch die kältesten Herzen zum Schmelzen bringen könnte, und eine Aura, die in dieser Sauna so fehl am Platz wirkte wie ein Pinguin in der Sahara.

„Buongiorno!“, begrüßte er uns, und selbst dieses einfache Wort klang in seinem Mund wie eine Verheißung. Ich, Herbert, sah, wie der Raum zu einem lebendigen Gemälde wurde, in dem jeder Pinselstrich, jeder Farbtupfer, zu ihm, dem neuen Mittelpunkt, führte.

Die Frauen in der Sauna, die bisher die Hitze mit stoischer Gleichgültigkeit ertragen hatten, blühten auf wie Blumen im Frühling. Selbst die traurige Dame mit dem Ehering warf verstohlene Blicke zu unserem italienischen Adonis, als könnte sein Lächeln die Schatten ihrer Vergangenheit vertreiben.

Die Männer, die bis dahin die unangefochtenen Könige ihres kleinen dampfenden Königreichs gewesen waren, wirkten plötzlich unsicher, als würden sie zum ersten Mal die Hitze wirklich spüren. Sogar Schwurbula, der sonst so wortgewandte Saunaprophet, schien die Sprache verloren zu haben, seine gewohnten Weisheiten erstickt im Nebel des italienischen Charmes.

Ich selbst fühlte mich wie ein Statist in einem Film, in dem ich bisher die Hauptrolle gespielt hatte. Der Italiener, mit einem Handtuch lässig um die Hüften geschlungen, hatte die Bühne betreten und alles verändert. Die Luft schien elektrisch, geladen mit einer Energie, die mehr versprach als der übliche Aufguss.

Als er sich neben mich setzte, spürte ich, wie die Hitze eine neue Qualität annahm. „Ist es immer so heiß hier?“, fragte er mit einem Lächeln, das die Temperatur um mindestens zehn Grad zu erhöhen schien.

„Man gewöhnt sich daran“, antwortete ich noch immer auf meinem kleinen Handtuch sitzend, bemüht, die Fassung zu bewahren. „Aber manchmal bringt der Dampf Überraschungen.“

Er lachte, ein Lachen, das klang wie Musik, und für einen Moment hatte ich das Gefühl, dass die Sauna nicht nur ein Ort der Hitze, sondern auch der Magie war. Eine Magie, die aus fernen Ländern kam und uns, die gewohnten Bewohner dieses dampfenden Mikrokosmos, in eine Welt entführte, in der alles möglich schien.

Der Italiener wurde zum Stammgast, und mit jedem Sonntag, den er in unserer Sauna verbrachte, wurde mir klarer, dass das Leben, auch das Leben in der Hitze und im Nebel, immer bereit war, dich zu überraschen. Denn manchmal braucht es nur einen Fremden, einen Lächeln, eine neue Stimme im Chor des Alltäglichen, um die vertrauten Dampfschwaden zu vertreiben und uns zu zeigen, dass hinter jedem Nebel das Licht einer neuen Möglichkeit wartet.

(All rights reserved. Copyright by Michael Schaller)

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Von Michael

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