Es war eine Schnapsidee, das wusste ich, Herbert, schon als ich sie fasste. Ein Saunamarathon – jeden Tag der Woche, um zu sehen, ob die Welt der Sauna mehr zu bieten hatte als meine üblichen sonntäglichen Schwitzsessionen. Ich wollte den Horizont erweitern, aber was ich fand, waren Türen zu Parallelwelten, die mein Verständnis von Normalität auf den Kopf stellten.
An meinem ersten Montag im Saunamarathon betrat ich, Herbert, die Sauna und fand mich unvermittelt in einer Versammlung pensionierter Lehrerinnen wieder. Sie saßen da, umhüllt von Dampf und Würde, und diskutierten mit einer Leidenschaft, die mich an Elternabende aus meiner Schulzeit erinnerte.
„Die Jugend von heute hat keinen Respekt mehr vor der Autorität“, erklärte eine mit strengem Blick, während sie ihr Handtuch fester um sich wickelte.
„Und erst ihre Rechtschreibung!“, klagte eine andere. „Als würden sie Klingonisch schreiben!“
Ich lächelte und nickte, während ich mich fragte, ob Klingonisch vielleicht einfacher zu erlernen wäre als die Geheimnisse dieser Saunarunde. Doch dann, unerwartet, wandte sich eine der Lehrerinnen direkt an mich.
„Sie, junger Mann! Was denken Sie über die heutige Jugend?“, fragte sie mit einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.
„Ähm, sie sind sehr… digital?“, antwortete ich zögernd und bereute sofort, dass ich mich nicht hinter einer Wolke aus Dampf versteckt hatte.
Die Lehrerinnen lachten, und eine von ihnen, eine Frau mit einem Blick, der zugleich streng und irgendwie verträumt war, sagte: „Sie müssen uns einmal Ihre Meinung bei einem Abendessen erzählen. Wie wäre es heute Abend? Im Hotel nebenan.“
Ich war sprachlos. Ein Date? Mit einer der Sauna-Lehrerinnen? In einem vornehmen Hotel? Meine mangelhafte Kleidung schien in diesem Moment unwichtig. „Äh, ja, gerne“, stotterte ich.
Das Abendessen im Hotelrestaurant begann vielversprechend. Doch schnell merkte ich, dass die Lehrerin, Frau Schneider, nicht nur über die Jugend philosophieren wollte. Sie faselte von ihrem Ehemann, einem Mann, der so perfekt schien, dass er unmöglich real sein konnte.
„Ernst ist so verständnisvoll, so kultiviert. Er würde es lieben, Sie kennenzulernen“, schwärmte sie, während ich in meinem günstigen Supermarkt-Anzug saß und mich fragte, wie ich in diese Situation geraten war.
Je mehr Frau Schneider sprach, desto mehr wurde mir klar, dass sie eine ordentliche Meise hatte. Ihre Geschichten über Ernst wurden immer abstruser, und ich begann zu ahnen, dass Ernst vielleicht mehr Fiktion als Realität war.
Das Date endete so abrupt, wie es begonnen hatte. Ich verabschiedete mich höflich und eilte zurück in die Sicherheit meiner kleinen Wohnung, dankbar für die Einsamkeit und den Mangel an perfekten Ehemännern namens Ernst.
So endete mein erster Montag im Saunamarathon – nicht mit der erhofften Erleuchtung, sondern mit der Erkenntnis, dass nicht jeder Montag ein Neuanfang sein muss und dass manchmal die besten Geschichten die sind, die man in der Sauna lässt.
Der Dienstag meines Saunamarathons war, gelinde gesagt, eine Enttäuschung. Ich, Herbert, hatte mich auf interessante Gespräche und vielleicht ein paar neue Bekanntschaften gefreut. Stattdessen fand ich mich in einer Sauna wieder, die mehr einer Gedenkstätte glich als einem Ort der Entspannung.
Die Sauna war bevölkert von schweigsamen Gestalten, die regungslos dasaßen, als wären sie Teil der Einrichtung. Ich setzte mich zu einem älteren Herrn, der stoisch auf die glühenden Steine starrte.
„Schönes Wetter heute, oder?“, versuchte ich ein Gespräch zu beginnen.
„Mhm“, war die einzige Antwort, die ich erhielt, begleitet von einem kaum wahrnehmbaren Nicken.
Ich wandte mich einer Frau zu, die in der Ecke saß, die Augen geschlossen, als würde sie den inneren Frieden suchen.
„Entspannend hier, nicht wahr?“, fragte ich, in der Hoffnung auf etwas mehr als ein Brummen.
Sie öffnete ein Auge, sah mich an, als hätte sie eine Erscheinung, und schloss es schnell wieder, ohne ein Wort zu sagen.
„Okay, dann nicht“, murmelte ich und ließ mich zurück auf die Bank fallen. Die Stille wurde nur vom gelegentlichen Zischen der Aufgüsse unterbrochen. Ich fühlte mich wie in einer Bibliothek, in der selbst das Umblättern einer Seite wie ein Verbrechen wirkte.
Nach einer halben Stunde, die mir vorkam wie eine Ewigkeit, entschied ich, dass ich genug von der stillen Meditation hatte. Ich verließ die Sauna, enttäuscht und ein wenig irritiert. So viel zum Thema ‚Saunamarathon‘.
Auf dem Heimweg fragte ich mich, ob der Rest der Woche genauso ereignislos verlaufen würde. Der Dienstag in der Sauna hatte mir nicht viel mehr gebracht als die Erkenntnis, dass Stille manchmal einfach nur langweilig ist und keine tiefere Bedeutung hat. Manchmal ist eine Sauna eben nur eine Sauna – ein heißer, stiller Raum, nichts weiter.
Als ich, Herbert, an jenem Mittwoch meine Saunamarathon-Woche fortsetzte, ahnte ich nicht, dass ich in eine Welt eintauchen würde, die mir bisher fremd war. Nichts ließ vermuten, dass dieser Tag anders sein würde als die anderen – bis ich die Sauna betrat und feststellte, dass ich der einzige Mann inmitten einer Schar von Frauen war.
Zunächst dachte ich, es wäre Zufall, vielleicht eine Laune des Schicksals. Doch als ich mich umsah, erkannte ich mein Missgeschick: Es war Damentag, und ich war unwissentlich in diese weibliche Enklave eingedrungen.
Ich setzte mich vorsichtig auf eine der hinteren Bänke, bemüht, unauffällig zu bleiben. Doch meine Anwesenheit blieb nicht unbemerkt. „Sieh mal, ein mutiger Mann an unserem Damentag“, kicherte eine Frau mit einer Stimme, die mich an die Direktorin meiner alten Schule erinnerte.
Eine andere Frau, die ein Handtuch mit dem Aufdruck „Girl Power“ trug, sah mich prüfend an. „Nun, solange er sich benimmt, kann er gerne bleiben“, sagte sie und lächelte mir zu.
Die Gespräche um mich herum waren eine bunte Mischung aus Klatsch, Lebensweisheiten und Diskussionen über Themen, die ich kaum nachvollziehen konnte. Einige Frauen debattierten über die beste Gesichtscreme, während andere sich über ihre Ehemänner oder die neuesten Diättrends austauschten.
Ich fühlte mich wie ein Ethnologe, der eine unbekannte Kultur erforscht. Jedes Gespräch war ein Fenster in eine Welt, die mir gleichzeitig vertraut und fremd war. Die Dynamik und Offenheit, mit der die Frauen miteinander sprachen, war faszinierend, aber auch leicht überwältigend.
Als ich die Sauna schließlich verließ, fühlte ich mich ein wenig wie ein Eindringling, der versehentlich in eine geheime Zeremonie gestolpert war. Der Mittwoch hatte mir eine andere Seite der Saunakultur gezeigt – eine Welt, die ich sonst nie kennengelernt hätte.
Auf dem Heimweg musste ich über mein unerwartetes Abenteuer lachen. Ich hatte gedacht, die Sauna hätte keine Überraschungen mehr für mich parat, aber der Damentag hatte mir gezeigt, dass es immer noch Geheimnisse zu entdecken gab. Manchmal ist das Unerwartete nur eine Türöffnung entfernt, selbst wenn es bedeutet, versehentlich in den Damentag einer Sauna zu stolpern.
Der Donnerstag meines Saunamarathons offenbarte mir, Herbert, eine völlig neue Seite der Saunakultur – eine, die eher einem Fitnessstudio glich. Kaum hatte ich die Sauna betreten, fand ich mich umgeben von muskelbepackten Gestalten, die selbst in der Hitze ihre Fitnessroutinen durchzogen.
Ein junger Mann mit einem Bizeps so groß wie meine Oberschenkel dehnte sich neben mir. „Heute ist Beintag, aber ich dachte, ein bisschen Sauna kann nicht schaden“, erklärte er, während er eine Pose einnahm, die ich zuletzt in einem Bodybuilding-Magazin gesehen hatte.
„Ah, ja, Beintag“, sagte ich und tat so, als hätte ich eine Ahnung, wovon er sprach.
Eine Frau mit einem Stirnband und einem T-Shirt, auf dem „Sweat is just fat crying“ stand, trat zu uns. „Ich mache immer meine Yoga-Übungen hier. Die Hitze hilft beim Dehnen“, sagte sie und begann eine Serie von Posen, die mich schwindelig werden ließen.
Ich versuchte, mich anzupassen und dehnte mich auch ein wenig, was prompt zu einem Krampf in meinem Bein führte. „Oh, das ist normal“, versicherte mir der Bodybuilder. „Das zeigt, dass du es richtig machst.“
Zwischen den Dehnungen und Posen fand eine Diskussion über die besten Proteinshakes und Paleo-Diäten statt. Jeder schien seine eigene Philosophie zu haben, und ich nickte nur, während ich versuchte, meine Verwirrung zu verbergen.
„Wusstest du, dass man in der Sauna doppelt so viele Kalorien verbrennt?“, fragte jemand, der gerade eine Hantel aus seinem Handtuch zauberte.
„Wirklich? Ich dachte, wir sind hier, um zu entspannen“, antwortete ich, woraufhin alle lachten, als hätte ich einen ausgezeichneten Witz gemacht.
Als ich die Sauna verließ, fühlte ich mich, als wäre ich gerade aus einem Fitnessstudio gekommen. Der Donnerstag in der Sauna war eine Lektion in Fitness und Körperkultur – eine Welt, die mir so fremd war wie das Innere eines Raumschiffs.
Auf dem Heimweg lachte ich über die Absurdität des Tages. Ich hatte gedacht, die Sauna wäre ein Ort der Ruhe und Entspannung, aber an diesem Donnerstag hatte sie sich in ein Dampfbad der Fitness verwandelt. Jeder Tag in der Sauna war wie eine neue Seite in einem Buch voller Überraschungen – und der Donnerstag war das Kapitel, das ich am wenigsten erwartet hatte.
Der Freitag meines Saunamarathons war wie der Eintritt in eine andere Welt. Ich, Herbert, rechnete mit einem ruhigen Abend in der Sauna, doch was ich vorfand, war eine Szene, die eher an eine Clubnacht erinnerte. Die Sauna war gefüllt mit jungen Leuten, die mit einer Energie und Begeisterung sprachen und lachten, die mich um Jahre älter fühlen ließen.
„Endlich Freitag, Zeit zum Entspannen!“, rief ein Mädchen mit neonfarbenen Haaren, während sie sich auf die Bank fallen ließ.
„Heute Abend geht’s ab!“, stimmte ihr Freund zu, ein junger Mann mit einer Sonnenbrille – in der Sauna, wohlgemerkt.
Ich setzte mich etwas abseits und beobachtete das Treiben. Die Gespräche drehten sich um Partys, Musik und die neuesten Trends – Themen, bei denen ich kaum mithalten konnte.
Plötzlich trat ein Polizist in die Sauna, offensichtlich in seiner Freizeit. „Ich hoffe, heute gibt’s keine Überraschungen wie am Mittwoch“, sagte er und lachte.
„Was war denn am Mittwoch?“, fragte das neonfarbene Mädchen.
„Ach, da ist ein Typ am Damentag aufgetaucht. Hat für ordentlich Wirbel gesorgt“, antwortete der Polizist.
Ich rutschte unruhig auf meiner Bank herum. Das war ich! Ich war der Typ vom Mittwoch!
„War bestimmt peinlich für den Kerl“, sagte der Freund mit der Sonnenbrille.
„Oh ja, der arme Kerl“, stimmte ich ein, bemüht, meine Stimme gleichgültig klingen zu lassen.
Der Polizist erzählte weiter von seinen Erlebnissen im Dienst, während die jungen Leute gebannt zuhörten. Ich fühlte mich wie ein Außenseiter, ein alter Mann inmitten einer Jugend, die so anders war als die, an die ich mich erinnerte.
Als ich die Sauna verließ, fühlte ich mich nicht nur älter, sondern auch ein wenig nostalgisch. Der Freitag in der Sauna hatte mir gezeigt, dass die Welt sich weiterdreht, selbst wenn man manchmal den Anschluss verpasst.
Ich ging nach Hause, lächelnd über die Ironie des Lebens. In der Sauna war ich der stille Beobachter, der Typ vom Mittwoch, der Ältere unter Jungen. Jeder Tag war eine neue Entdeckung, ein neues Abenteuer – und der Freitag war eine Erinnerung daran, dass man nie zu alt ist, um Neues zu erleben, selbst wenn es bedeutet, sich manchmal fehl am Platz zu fühlen.
In meinem bisherigen Leben als Saunagänger hatte ich, Herbert, mich stets an die heilige Routine des Sonntags gehalten. Doch eines Tages packte mich die Neugier: Was, wenn ich die Routine durchbreche? Was, wenn ich am Samstag gehe? Würden dieselben Gesichter dort sein? Oder würde ich in eine andere Welt eintauchen, eine unbekannte Dimension der Sauna?
So fand ich mich an einem Samstag in der Sauna wieder. Die gewohnte Wärme empfing mich nicht; stattdessen ein kühler Hauch, der mich erzittern ließ. Die Sauna war nicht aufgeheizt, ein Umstand, der so unerwartet war wie Schnee im Sommer. Ich war allein, umgeben von Stille, die nur vom gelegentlichen Knarren des Holzes unterbrochen wurde.
Halbnackt und verwirrt marschierte ich zur Rezeption, um mein Missfallen auszudrücken. „Entschuldigung, aber die Sauna ist kälter als mein Kühlschrank!“, beschwerte ich mich. Die Rezeptionistin, ein neues Gesicht, das ich noch nie gesehen hatte, sah mich an, als hätte ich zwei Köpfe. „Samstags heizen wir nicht vor“, erklärte sie mit einem Schulterzucken, das meine Frustration nur vertiefte.
So kehrte ich zurück in die kalte Sauna, entschlossen, das Beste daraus zu machen. Zwei Stunden saß ich dort, umgeben von Kälte und der zunehmenden Erkenntnis, dass mein Abenteuer ein Fehlschlag war. Ich war wie ein Eskimo in der Wüste, ein Fisch auf dem Trockenen, ein Herbert in einer kalten Sauna.
Als ich schließlich aufgab und erneut zur Rezeption ging, platzte ich vor Empörung. „Ich habe nicht dafür bezahlt, hier zu sitzen und zu frieren!“, rief ich aus. Der Saunabetreiber, der inzwischen aufgetaucht war, hörte sich meine Beschwerde an und nickte verständnisvoll.
„Natürlich, Herr Herbert, ich verstehe Ihren Unmut. Als Entschädigung erhalten Sie beim nächsten Mal einen Spezialaufguss“, sagte er mit einem verschmitzten Lächeln. Ich verließ die Sauna, halb im Glauben, etwas gewonnen zu haben, und halb im Wissen, dass der „Spezialaufguss“ wahrscheinlich eine weitere Verarschung war.
So endete mein samstägliches Saunaabenteuer nicht mit der ersehnten Wärme, sondern mit der kalten Erkenntnis, dass manche Routinen aus gutem Grund existieren. Manchmal ist es besser, die Dinge so zu lassen, wie sie sind, und sich nicht in unbekannte Gewässer zu wagen – besonders, wenn diese eiskalt sind.
Als der Sonntag kam und ich in meine vertraute Routine zurückkehrte, fühlte ich mich wie ein Reisender, der von einer langen Reise heimkehrt. Die vertrauten Gesichter begrüßten mich, und als jemand fragte, wo ich die ganze Woche über gewesen sei, lächelte ich nur und sagte: „Ich habe die Parallelwelten der Sauna erkundet.“ Und in diesem Moment wusste ich, dass mein Saunamarathon mehr als nur eine Schnapsidee war – es war eine Reise in die Tiefen der menschlichen Natur, dampfend, schwitzend und wunderbar bizarr.
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